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Das Leben ist trotzdem schön

Meine Geschichte zum Schreibwettbewerb von Holly Book/ Emilia Smift.

    1
    „Hey, Laura! Hast du vielleicht irgendwo mein Handy gesehen?“, werde ich von Leonie, der doofsten Zimtzicke meiner Klasse, gefragt. „Oh, Entschuldigung!“, ruft sie ironisch, „Du hast ja überhaupt noch nie was gesehen! Wie traurig!“
    Als wäre das total lustig, beginnt sie zu kichern. Ich drehe meinen Kopf in die Richtung, in der ich sie vermute. „Meistens ist das schon traurig, aber ich schätze, dass ich dich noch nie gesehen habe, ist ein Geschenk des Himmels. Wenn du nur halb so hässlich bist wie dein Charakter ist, kann man dich vermutlich gar nicht ansehen, ohne zu kotzen“, antworte ich. Verärgert schnappt die Zicke nach Luft.
    „Yes, Queen of Sass!“, jubelt eine mir sehr bekannte Stimme. „Nerd, halte dich da raus!“, faucht Leonie den Besitzer der Stimme an. „Er heißt nicht Nerd sondern Liam!“, knurre ich. „Oh, echt?“, fragt Leonie genervt, „Das ist mir so egal! Ich gehe jetzt wieder zu meinem Platz. Und nach der Schule gehe ich noch aus – Ins Kino, mit meinem Freund. Wir wollten uns einen Film ANSEHEN!“
    Mit diesen Worten stolziert sie davon, man kann die Absätze ihrer Schuhe gut hören. Klack, klack, klack. Klack, klack.
    „Sie ist so doof“, murmelt Liam, kaum als sie weg ist. Ich murmle etwas, das wie „Ja“ klingt. Ich wollte doch immer schon an eine ganz normale Schule gehen, obwohl ich blind bin! Ich möchte nämlich nicht ständig daran erinnert werden, dass ich blind bin. Ich will so sein wie die anderen!
    Es war schwierig, in eine normale Schule zu kommen und der Alltag dort ist für mich noch viel schwieriger. Wieso muss sie es mir also noch schwerer machen, als es eh schon ist?
    „Liam?“, frage ich, „Wie sieht sie eigentlich aus? Ist sie … hübsch?“ „Du weißt doch gar nicht, was hübsch ist“, antwortet er verwundert. „Aber du weißt es“, erinnere ich ihn. Klar, ich habe keine Ahnung, wie es ist, etwas zu sehen – Aber dass es gut ist, hübsch zu sein, das weiß auch ich.
    „Sie … sie ist ziemlich hübsch, ja“, gibt er nach einer Weile zu. Ich lasse meinen Kopf sinken. Irgendwie zieht mich das runter, warum auch immer. „Aber ich finde, du bist viel hübscher“, fügt er nachdenklich hinzu. „Wirklich?“, frage ich. „Ja“, sagt er sanft, „Falls es dich interessiert … Du hast hellbraune, schulterlange Locken. Deine Haut geht eher Richtung dunkel, weshalb sie super zu deinen Haaren passt. Obwohl deine Augen milchig sind – na ja, blind halt - haben sie eine schöne Farbe. So ein dumpfes Sturm-blau, würde ich sagen. Und du hast Sommersprossen. Ganz viele. Das sieht ziemlich süß aus, ehrlich gesagt.“
    „Oh, danke…“, antworte ich. Zwar weiß ich nicht, was man sich darunter vorstellen soll, aber dass er mich süß findet, freut mich, auch wenn ich nicht weiß, wie man das genau definieren soll.
    „Setzen!“, höre ich plötzlich die tiefe Stimme meines Mathelehrers, dem Herrn Schneider. Es klingt mehr wie ein Bellen als ein Sprechen, wenn er was sagt. „Laura, willst du nicht zusammenfassen, was wir in der letzten Stunde gemacht haben?“, fragt er mich plötzlich. Ich glaube, er ist der einzige Mathelehrer überhaupt, der mündliche Stunden-Wiederholungen macht…
    „Wir haben … gerechnet. Mit Koordinatensystemen“, stammle ich. „Zum Beispiel?“, bohrt er nach. „Wir haben Punkte … eingezeichnet“, erinnere ich mich, „Also der Großteil der Klasse.“ „Nur der Großteil?“, wundert er sich.
    Was soll das? Er weiß doch genau, was ich meine!
    „Ich habe keine Punkte eingezeichnet“, erkläre ich ihm. „Nicht?“, fragt er. Wütend balle ich meine Hände zu Fäusten. „Das wissen Sie genau“, zische ich. Warum macht er sich über mich lustig? Dass Leonie das tut ist schon doof genug – Aber sie ist nun mal doof. Aber er? Er ist ein Lehrer! Warum tut er das?
    Manchmal frage ich mich echt, ob es schlimmer ist, hier zu sein und es einfach besser wäre, wieder in eine Schule für Blinde zu wechseln. Aber wenn ich mit anderen Blinden zusammen wäre, würde ich daran erinnert, dass nicht nur bei mir nicht alle Sinnesorgane funktionieren, sondern dass ausgerechnet Kathi auch ein Problem hat…
    „Nicht daran denken!“, sage ich mir selbst. Nicht an Kathi denken. Ich treffe sie nach der Schule sowieso…

    2
    „Wie war es in der Schule?“, fragt Marie, als sie mich abholt. Marie ist sowas wie mein Kindermädchen. Sie holt mich immer von der Schule ab. Sie hilft mir mit dem … Leben. „Wie immer“, ist alles, was ich dazu sage, „Wie geht es Jessy?“
    Jessy ist mein Hund. Mein Blindenhund. Ich habe sie eigentlich immer dabei, egal, wohin ich gehe. Nur heute hatte ich sie nicht dabei, weil sie gerade ein bisschen krank ist. Marie scheint zu merken, dass ich mir Sorgen um meine Jessy mache.
    „Es ist nichts Ernstes. Du wirst sehen – Sie ist ganz schnell wieder auf den Beinen“, tröstet sie mich. Und ich weiß, dass sie Recht hat – Jeder ist mal ein bisschen krank.

    Tatsächlich begrüßt Jessy mich schon wieder mit lautem Gebell, als wir nachhause kommen. Glücklich streiche ich über ihren Kopf – nachdem ich diesen ertastet habe. „Hallo, mein wunderbares Mädchen“, flüstere ich, dann gehe ich in unser Haus. In unser zugegeben ziemlich riesiges Haus.
    Meine Eltern verdienen beide echt gut, doch was bringt es? An einem großen Haus kann ich mich sowieso nicht freuen – Ich sehe ja nichts von seiner Größe.
    Kaum bin ich in meinem Zimmer, lasse ich mich auf mein Bett fallen. In meinem Zimmer kenne ich mich aus. Hier kann ich über nichts stolpern oder muss ewig nach etwas suchen – Ich weiß genau, wo alles ist!
    Nur jetzt ist da plötzlich etwas neben mir im Bett, das nicht immer da ist – Ich spüre, dass neben mir was ist. Ein Mensch. Da sitzt ein Mensch.
    Natürlich nicht irgendein Mensch.
    Sondern Kathi.
    „Hallo“, flüstere ich und berühre mit meinen Fingern ihre Wangen, so begrüßen wir uns. Sie tut dasselbe, obwohl sie mich nicht hören kann. Natürlich nicht.
    Meine Zwillingsschwester ist taub.
    Sie kann nicht hören, was ich sage und ich kann nicht sehen, was sie mit ihren Fingern erzählt! Aber irgendwie schaffen wir es trotzdem, miteinander zu kommunizieren – Vielleicht ist das so ein Zwillingsschwestern-Ding.
    Kathi geht an eine Schule für Hörgeschädigte. Damit hat sie wohl kein Problem, was ich nicht verstehe. Ich verstehe so vieles in ihrem Leben nicht, was mich echt traurig macht. Ich weiß nicht mal, wie sie denkt – Wie denkt man, wenn man nicht weiß, wie Worte klingen?
    Ich seufze. Kathi scheint diese Bewegung zu erkennen, da sie ihre Arme um mich schlingt. Gleich fühle ich mich etwas besser – Sie versucht, Lippen zu lesen und ich bemühe mich, alles, was ich sage, möglichst klar auszusprechen. Außerdem hilft Marie mir manchmal damit, Kathis Sprache zu lernen, indem sie meine Hände in eine Position bringt und mir sagt, was diese dann bedeutet. Ich merke mir dann den Bewegungsablauf.
    Kommunikation ist also nicht ganz unmöglich, nur schwierig. Meisten verstehen wir uns aber auch ohne Worte.
    „Kathi“, sage ich. Sie schaut mich an, glaube ich, zumindest hat sie ihren Kopf bewegt. Langsam fahre ich mit meinen Fingern über ihre Wange und berühre schließlich versehentlich ihre samtweichen Lippen.
    Wir sind eineiige Zwillinge. Kathi sieht aus wie ich. Wenn Liam findet, dass ich süß aussehe, findet er also auch, dass sie süß ausschaut. „Liam findet uns hübsch“, sage ich langsam. Ich spüre, dass sich ihre Mundwinkel leicht nach oben heben, obwohl sie nicht weiß, wer Liam ist.
    Mit einer sanften Bewegung streicht sie mir eine Strähne hinter ein Ohr, woraufhin ich ihre Hand nehme und sie auf die Stelle meiner Brust lege, auf der man den Herzschlag spüren kann. Das ist meine Art „Ich habe dich lieb“ zu sagen. Von mir aus kann das Leben ruhig für immer so bleiben – Es ist nicht einfach, aber es ist schön.

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